![Warum deutscher Reggae mich langweilt (WDSUSDL 01/16)]()
Warum deutscher Reggae mich langweilt (WDSUSDL 01/16)
Ich liebe Reggae und fast alle seine Spielarten, wirklich.
Und weil Liebe Ehrlichkeit vertragen muss, führe ich hier ein neues Format ein: WDSUSDL (Weck Die Stadt Und Sag’s Den Leuten).
Was ich euch sagen möchte? Meine Meinung zum Stand von Reggae, zur Szene … Hosen runter, Karten auf den Tisch.
Ich habe deutschen Reggae bisher immer verteidigt und ja, es gibt gute Stücke. Aber ich bekomme immer mehr den Eindruck, dass Reggae wie Schlager ist.
Diesen Spruch habe ich mir nicht ausgedacht, sondern der dufte Uwe Kaa. Und er stimmt: Reggae ist weichgespült, inhaltlich und klanglich.
Das Beste, das ich in den letzten Monaten im deutschen Reggae und Dancehall gehört habe, sind HipHop-Remixe. Da war zum Beispiel Gzuz’ Ebbe & Flut, das Fizzle von Soulforce auf den Bam Bam Riddim geknallt hat. Ehrlich. Dreckig. Anders. Absolut unterhaltend und absolut nicht, was deutscher Reggae und Dancehall ist.
Vielleicht liegt es nur am Instrumental, das seit Jahrzehnten jeden Tanz in Wallung bringt. Aber nur daran kann es nicht liegen, denn ich finde fast jeden HipHop-Reggae-Remix besser als die Lieder der eigentlichen Szenekünstler. Noch ein Beispiel? Gern, prüft MoTrips Mathematik.
(LEIDER SIND SOWOHL GZUZ ALS AUCH MOTRIP AUS COPYRIGHT-GRÜNDEN AKTUELL NICHT AUF SOUNDCLOUD VERFÜGBAR. HÄNG ICH HIER WIEDER EIN, SOBALD FIZZLE EINE LÖSUNG GEFUNDEN HAT.)
Spezielle Anfrage an Soulforce in jedem Fall.
Es steht die Frage im Raum: Was haben die Rapper, was deutscher Reggae und Dancehall nicht haben?
Reggae braucht Dreck und Lässigkeit
Ok, Gzuz hat wirklich eine wahnsinnig dreckige Stimme – und volksnahes Vokabular. Ich weiß nicht, ob ich jemals „… Scheiße gefressen …“ im deutschen Reggae gehört habe? Aber gut, das ist nicht der Punkt.
Reggae klingt für mich häufig sehr angestrengt, die Texte zu konstruiert, jede Silbe exakt artikuliert, fast klinisch sauber. Immer auf der Suche nach der perfekten, staubfreien Produkten. Quasi Mainstream, nur dass Reggae nicht Mainstream ist und so nicht funktionieren kann.
Rap hingegen fühlt sich an, als würden die Jungs gerade aus dem Späti ins Studio kommen und ein paar Zeilen ins Mikrofon rotzen. Obwohl sie sicher ähnlich konzentriert bei der Aufnahme sind.
Ich kann mir modernen Roots Reggae komm noch anhören, weil das meist glatt wie Teflon ist. Wo ist der Rotz? Ich will rohes Ei und kein 5-Sterne-Omlette! Hört auf mit dem 200er Schleifpapier zu polieren. Holt die grobe Körnung raus. Das hinterlässt wahrnehmbare Spuren. Handwerker kennen das.
Reggae braucht Wortschatz
Kevin Schram und sein Team haben 2015 für den BR analysiert, welcher deutsche Rapper den größten Wortschatz hat. Morlockk Dilemma und Kollegah verweisen Johann Wolfgang von Goethe (kein Rapper) auf Platz 3.
Mich würde interessieren, wie die Statistik für deutschen Reggae und Dancehall aussieht? Gefühlt nicht so gut. Aber die Anzahl der Worte allein macht es auch hier nicht aus. Sprachlich kaum unterhaltend, bis auf wenige Ausnahmen. Die Zeilen, die mir aufgrund ihrer Kreativität im Kopf hängen bleiben, kann ich an zwei Händen abzählen.
Wobei kreativ nicht unbedingt heißen muss, jeden Vergleich um drei Ecken zu denken. Kreativ könnt ihr auch mit Alltagssprache sein. Warum knallt Ronny Trettmann so rein? Weil er alltägliches Vokabular benutzt und Phrasen textet, wie er vermutlich spricht.
Reggae braucht frische Themen
Party. Sozialkritik. Rauchkraut. Liebe. Das ist der klassische Themen-Vierklang im deutschen Reggae und Dancehall. Da frage ich mich immer wieder: Jungs und Mädchen, habt ihr Nichts aus dem Alltag zu erzählen, aus eurer Gegend, aus eurer Straße, aus dem Supermarkt? Es muss doch mehr los sein als Party, Rauchkraut, Liebe und Sozialkritik, die häufig ungreifbar verpackt oder zu sehr mit dem Zeigefinger kommt.
Ich gehe davon aus, dass deutsche Reggae- und Dancehall-Künstler nicht so straßensozialisiert sind wie die Rap-Zunft. Eher so Mittelstandskinder wie ich, die Knäste nur aus dem Museum und Filmen kennen. Trotzdem fühle ich die Geschichte von Gzuz und seinen Jungs, weil sie ehrlich rüberkommt, ein Blick ins tägliche Leben.
Verlasst den Themen-Vierklang und erzählt Geschichten von euch. Schreibt über Themen, über die ihr mit euren Freunden und Freundinnen sprecht. Und wenn Sozialkritik, dann greifbar und menschennah wie zuletzt Yellow Umbrella & Ronny Trettmann & Tiny Dawson.
Reggae braucht mehr Rap, mehr Punk, mehr Kante! Vielleicht finde ich ihn dann wieder spannend. Ich verweise hier immer wieder gern auf die Sleng Teng Challenge von 2014. Rohe Kunst, die viel Anklang im Netz fand, aber leider nicht weiter gelebt wurde.
Ihr habt weitere Gedanken zu diesem Thema? Schreibt sie mir in die Kommentare.
Der Beitrag Warum mich deutscher Reggae langweilt (WDSUSDL 01/16) erschien zuerst bei House of Reggae | Musik Blog.